Nur 14 Kilometer ist Marokko entfernt von Tarifa, eine gute halbe Stunde braucht die Fähre nach Tanger. Und doch beginnt hinter dem bisschen Wasser der Straße von Gibraltar eine völlig andere Welt.
Ich verlasse das Schiff und nähere mich vom Hafen aus der Medina von der falschen Seite, nicht durch einen normalen Eingang, sondern auf der steilen zugemauerten Seite. Ein kleiner Trampelpfad führt über den Hang nach oben direkt auf die Terrasse eines Cafés. Den ersten marokkanischen Kaffee kaufe ich quasi als Wegzoll fürs Durchgehen durch das Lokal, in dem es so aussieht als ob sich noch nie ein Tourist hineinverirrt hätte. Der Typ mit dem ledrigen Gesicht neben der Bar, der in seiner langen Holzpfeife irgendein wildes Zeug raucht, schaut mich auch dementsprechend grimmig aus seiner Kapuze raus an.
Also lieber weiter quer durch das Gassengewirr der Medina ins Einkaufsviertel und zum Gemüsemarkt an der St. Andrews Church.
Außer auf den ersten Metern afrikanischen Bodens nach dem Hafen bei den Taxis werde ich erstaunlich angenehm in Ruhe gelassen, von keinem Verkäufer bedrängt, kaum angebettelt und nur selten auf Produkt- und Dienstleistungsangebote von Haschisch bis Stadtführung hingewiesen. Dass sich die Zurückhaltung auch genauso überraschend schnell ins Gegenteil verändern kann, sollte mir wenige Stunden später noch mehr als klar werden.
Aber noch schlendere ich völlig unbehelligt durch die sonnige Stadt. Das kulturelle Durcheinander aus arabischen, französischen und spanischen Einflüssen und das wuselige Chaos einer nordafrikanischen Großstadt machen neugierig und inspirieren mich. Die zahntechnische Branche macht im Vorbeigehen einen nicht ganz so vertrauenserweckenden Eindruck, aber deswegen bin ich ja auch nicht hier. Diese Stadt ist faszinierend, geschäftig und immer wieder verwunderlich. Sieht es in einer Ecke aus als wäre die Zeit für ein paar Hundert Jahre stehengeblieben, macht man ein paar Straßen weiter offenbar unverblümt auf dicke Hose in einer der vielen edlen Stranddiskos.
An der Avenue Mohamed VI, dem Strandboulevard von Tanger, verwickelt mich dann doch noch ein freundlicher kleiner Marokkaner mittleren Alters in ein Gespräch, nachdem ich mir zuvor alle Aufdringlichkeiten problemlos vom Leib halten konnte. Er labert fast ohne Unterbrechung auf Englisch (leicht mit Spanisch und Französisch durchgemischt) von seinen guten Freunden in Wuppertal, kennt die Stadt wie seine Westentasche, hat zufälligerweise seinen freien Tag und deshalb viel Zeit, mich ungefragt zu begleiten. Ich ahne wie das endet und biege nach wenigen Sätzen plötzlich ab, wünsche hastig einen schönen Tag und gehe zügig ein paar Hundert Meter weiter. Als ich einen letzten Blick zurück auf den Strand werfe und ein Foto mache, steht er schon wieder neben mir.
Also Strategiewechsel: Ich frage ihn nach dem nächsten Café in dem Bewusstsein, dass mich jede Frage vermutlich am Ende ein Trinkgeld kosten wird. Ein paar Dirham hätte ich ihm sofort überlassen, wenn er dann zuverlässig in die andere Richtung und an seinem „freien Tag“ jemand anderem auf die Nerven gegangen wäre. Stattdessen schleppt er mich – wenn auch in die Richtung, in die ich will – erst viele Straßen weiter zu einem Café. Ich verabschiede mich zum zweiten Mal und erkläre ihm, dass ich hier sehr lange sitzen werde, weil ich schon den ganzen Tag durch die Stadt gegangen bin und jetzt Erholung brauche. Nachdem ich an der Bar einen Kaffee gekauft habe, sitzt er schon wieder neben mir und wartet geduldig. Ich hätte vorher nicht nach der Casa Barata, dem riesigen Schnäppchen-, Floh-, Bau-, Super- und Alles-Andere-Markt von Tanger fragen sollen. Jetzt will er mich da natürlich hin dirigieren, mich beschützen, mir Tipps geben und sowieso mein bester Freund sein. Widerspruch ist zwecklos, ein angebotenes Trinkgeld für seine freundliche Hilfe nimmt er nicht – das beleidigt ihn als guten Freund eher – und meinen Wunsch, alleine weiterzugehen, ignoriert er konsequent. Okay, also nächste Stufe: Ab in das nächste Taxi! Alle voll, es hält erst mal keines an. Er hilft mir natürlich auch dabei, ein Taxi herzupfeifen, nicht ohne mich währenddessen wüst zu beschimpfen, wie ich so undankbar sein könnte. Als er seine Felle davonschwimmen sieht, nimmt er dann doch gerne die 20 Dirham, die ich ihm schon viel früher angeboten hatte. Für seine viele Zeit und die vielen tollen Tipps ist ihm das sogar viel zu wenig und er fordert mehr. Dass mich das Taxi, das dann Gott sei Dank endlich hält, für den gleichen Betrag quer durch die ganze Stadt fährt, ist ihm sicher bewusst, aber auch völlig egal.
Trotz aller Anstrengungen der Verfolgungsjagd erreiche ich die Casa Barata, atme tief durch und bestaune Warenangebot inklusive Bewachungspersonal in den Kisten der technisch hochaktuellen Elektronikabteilung. Nach der Abteilung für Matratzen rechts, an den Haustüren und Fliesen vorbei und kurz nach dem Waschmittel, aber vor dem Lebensmittelbereich beginnt dann die Klamottenabteilung, in der sicher jeder Afrikaner, Europäer und vermutlich auch Inder oder Japaner findet, was er sucht. Letztere sind übrigens auch hier (wie überall), treten (wie immer) in größeren Gruppen auf und sind eine echte Gefahr für diesen Markt, weil sie einem beim hektischen Umdrehen nach dem Fotografieren schon mal ein Teleobjektiv an den Kopf hauen können. Ich entscheide mich (mangels Transportkapazität auf der Reise) gegen die Aladinlampen, Antikmöbel und Autoersatzteile, aber stattdessen für leichtgewichtige, fabrikneue Importware aus dem internationalen Bekleidungssegment.
Von Datteln und anderem Süßkram gestärkt hätte ich gerne noch eine Kulturepisode mitgenommen und mir die Kasbah von innen angesehen, aber die wird leider nach 16.00 Uhr nicht mehr gerockt. Aber für 5 1/2 Stunden in Marokko reicht mir das Programm eigentlich auch.
Scheinbar ist gerade Rush Hour auf der Straße von Gibraltar. Die Fähre zurück schlängelt sich durch jede Menge Container- und andere Schiffe auf dem kurzen Weg zurück nach Spanien.
Ach ja, und Clark Gable ist übrigens auch an Bord und schleppt – ganz Gentleman – schwere Koffer und sperrige marokkanische Einkäufe. Aber die Frisur sitzt immer noch perfekt nach all den Jahren…..











