Verborgene Goldschätze sind naturgemäß schwer zu finden und selbst wenn man den Ort kennt nur mühsam erreichbar. 38 Jahre nachdem das letzte bisschen Gold aus allen Gräbern geplündert und der Entdecker aus lauter Habgier ermordet worden ist, kann man sich zwar die Machete sparen, aber einige Hürden sind trotzdem zu überwinden.
Um heute die verlorene Stadt zu sehen, muss man vier Tage ohne Strom und Handynetz auf steilen, schlammigen Pfaden auf sich nehmen und mit einem möglichst wasserdichten Rucksack, ein paar Mulis für die Verpflegung und wahlweise einem Campbett oder einer Hängematte im Freien auskommen.
Die Schweine(-hitze) und die tropischen Regengüsse sind dabei nicht das Problem, klatschnass wird man hier bei JEDER Wetterlage. Allerdings führt der tropische Regen, wenn er allzu lange andauert, tatsächlich zu einem Hindernis. Er lässt den Rio Buritica, der auf dem Hin- und Rückweg je dreimal überquert wird, ziemlich schnell auf ein Vielfaches seiner normalen Stärke anschwellen und macht ihn zeitweise zu einem reißenden Strom. Das sieht bei der ersten Querung von oben noch recht eindrucksvoll aus.
An den beiden anderen Stellen gibt es jedoch den Luxus einer Hängebrücke nicht mehr. Normalerweise wird die direkteste aller Überquerungsmethoden angewendet: Einfach durchgehen. Egal ob mit Sicherungsseil zum Festhalten (Querung Nr. 3) oder ohne (Nr.2) – man kommt nur durch, wenn der Fluss mehr oder weniger normale Höhe hat. Morgens ist das in der Regel der Fall, bevor der Regen einsetzt. Timing ist also alles. Auch das ist ein Grund, warum wir jeden Tag um 5 Uhr aufstehen.
Aber leider ist keine Regel ohne Ausnahme. Auch das Wetter durchbricht gelegentlich den üblichen Tagesrhythmus. Tag 3 beginnt (wie immer um 5 Uhr) nach einer Nacht, in der es ununterbrochen geregnet hat. Der Rio Buritica ist um mehrere Meter näher ans Camp herangekommen als am Nachmittag zuvor. Wir brechen auf und es fängt sofort wieder an zu regnen, ich korrigiere: zu schütten wie aus Kübeln. Der Fluss ist zu Fuß unpassierbar. Es bleibt nur eine Option: die „Indiana-Jones-Methode“.
Einer nach dem anderen schwingt sich auf das offene Fahrgestell am Drahtseil und wird zwischen den nach wie vor gießenden Wassermassen von oben und dem rauschenden Fluss unten auf die andere Seite gezogen. Das Bild ist übrigens aus dem Internet geklaut. Mangels Unterwasserkamera fehlt mir eigenes Material.
Der Schlaf in den Nächten nach 8-stündigen Wanderungen mit viel Schweiß, Adrenalin und Abenteuer ist selbst im primitivsten Campbett so gut und tief wie selten. Um 18 Uhr ist es stockdunkel, um 21 Uhr kann kaum noch jemand die Augen offen halten. Bis ich plötzlich von einem eigenartigen Geräusch aus dem Traum hochgeschreckt werde. Es regnet und ich kann weder etwas hören noch sehen. Mit der Taschenlampe leuchte ich durch die Mückenvorhänge und sehe meinen Bettnachbarn friedlich schlafen. Er liegt auf der Seite und sieht in dem reflektierten Licht hinter zwei Vorhängen etwas gespenstisch aus. Ich leuchte nach draußen und sehe beim Hinunterblicken aus der hochwassersicheren oberen Etage der Stockbetten – nichts außer prasselnden Regen. Über mir: Ein Blechdach. Ein Tier vielleicht, dass sich unterm Dach im Trockenen eingenistet hat? Erkennen kann ich allerdings nichts. Ich schalte das Licht aus und lege mich wieder hin. Wenige Sekunden später erschreckt mich wieder ein plötzliches Fauchen, ein Zischen, das ein bisschen teuflisch klingt. Hilfe, hab ich schlecht geträumt und bilde mir das nur ein? Nein, ich bin jetzt hellwach und suche hektisch wieder die Lampe. Ich kann wieder nichts Auffälliges erkennen außer – da ist es wieder – Michael! Wie kann man denn so schnarchen? Der vermeintlich friedlich und leise schlafende Bettnachbar spart sich offenbar seine Atmung so lange auf bis der nächste Schnarcher klingt wie wenn ein tollwütiger Affe gerade einen Anfall hat.
Die Oropax liegen leider am anderen Ende des Camps im Rucksack, aber ich hole sie mir gerne auch mitten in der Nacht. Wenn ich dieses Geräusch noch weiter anhöre, träume ich später noch von blutrünstigen Löwen oder feuerspeienden Drachen.
Die Mühen dieses Trails haben sich auch ohne Gold mehr als gelohnt. Der kleine, quirlige Guide Gabriel war immer voller Begeisterung und hat 1300-jährige Geschichte der verlorenen Stadt leidenschaftlich vermittelt. Nach einem kleinen Plausch mit dem Schamanen der Kogis auf dem Weg hat er uns sprintenderweise sofort wieder eingeholt. Und keine Frage blieb unbeantwortet: „Mira, …“ und schon sprudelte er nur so los, dass der „Aushilfs-Übersetzer“ schwer überfordert war. Endlich weiß ich, warum ich selbst vorher im Spanischkurs war.
Und nicht zuletzt hat er uns alle sicher und wohlbehalten wieder in die Zivilisation gebracht – von den schwer eitrigen Blasen des Aushilfs-Übersetzers mal abgesehen, er war das Wandern ähnlich wenig gewöhnt wie das Übersetzen.
Schlechte Schuhe und merkwürdig schnarchende Mitwanderer sind am Ende eigentlich auch schon die größten Gefahren auf diesem Trek. Soldaten verhindern oberhalb der historischen Stadt mögliche Geiselnahmen von Guerillas, müde und fußlahme Kollegen chartern sich im Notfall einen Esel, vor dem Verdursten kommt mit Sicherheit der nächste Platzregen und die Überlebenschancen am Ziel selbst sind heute auch deutlich höher – seit es nichts mehr zu holen gibt und deshalb auch keine habgierigen Grabräuber mehr zur „Ciudad Perdida“ in der Sierra Nevada de Santa Marta unterwegs sind.