Was tun, wenn’s im Zug einmal langweilig werden sollte? Oder: Was Dauerreisende so alles dabei haben.

Wenn der spanische Hochgeschwindigkeitszug bis auf den letzten Platz besetzt ist, der Gang voller Gepäck steht und der Hund auf dem Fuß respektive den Füßen der Mitreisenden sitzt, dann schränkt sich die hochgeschätzte Bewegungsfreiheit während der Bahnreise schon deutlich ein. Wie vorteilhaft ist es dann jedoch, wenn man am 4er-Tisch auf interessante Menschen trifft, die wissen, wie man ein paar Stunden Direktverbindung am selben Platz sitzend sinnvoll verbringt.

Ein perfektes Beispiel hierfür ist der freundliche Herr aus Israel, dessen Spanisch auch sehr leicht zu verstehen ist, weil er jedes wichtige Wort – insbesondere alle Zahlen – ganz besonders betont: „Uno con ochenta?? Ocho, cero?? No, no, no, demasiado!“ Die Dame vom Bordverkauf macht demnach also kein Geschäft mit ihm, da eine Flasche Wasser für 1,80 € definitiv zu teuer ist. Kostet im Supermarkt ja nur 30 Cent! „Treinta – tres – cero – céntimos!“

Er braucht auch gar nichts von der spanischen Bahn. Er hat Wasser, Bier, Kräcker, ein Riesenpaket Würste, eine Dose Essiggurken und Süßigkeiten dabei und versorgt gleich das halbe Abteil mit. Er kennt sich aus, ist schon seit zwei Monaten unterwegs und hat einen Pass, der bis zur letzten Seite voll ist mit Stempeln. Gestärkt macht er sich dann nach der Brotzeit an eine neue Aufgabe: Er malt – zuerst meinen Hund, der allerdings gut versteckt wegen der wie immer missachteten Käfigpflicht unter dem Tisch sitzt und als Modell daher schlecht sichtbar ist – und dann mit wesentlich größerer Anstrengung und Detailverliebtheit seine Sitznachbarin.

Porträtieren_im_Zug

Nebenbei fragt der (Lebens-)Künstler David (wie er sich vorgestellt hat) sie (Carmen) nach ihrer Lebensgeschichte inkl. Beziehungsstatus und Telefonnummer aus, reicht das Bild schon mal zur Ansicht an alle herum, ergänzt noch ein paar Details (die Halskette) und sein Autogramm mit Datum und überreicht der Dame dann das Kunstwerk, angefertigt mit Kugelschreiber auf einer herausgerissenen Seite aus Carmens eigenem Notizblock. Ich habe schon Freudenausbrüche gesehen, die überschwänglicher waren, aber selten eine Zugfahrt erlebt, die kurzweiliger war.

Porträtieren_im_Zug_fertig

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